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Hirsch tottrinken! – Jagd und Jäger Teil 3

Autor , am 30. Oktober 2013

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Hirsch

Ein anderes Erlebnis, das mich sehr abgestoßen hat, fand aus Anlass des Abschusses eines Hirsches statt. Der geschossene Hirsch war ein älterer Hirsch, der bereits wieder zurückgesetzt hatte. Das heißt, er hatte den Höhepunkt seiner Geweihentwicklung bereits überschritten, und zwar um mehrere Jahre. Zuvor war er ein wirklich starker Hirsch gewesen. Der Abschuss als solcher war also nach geltenden Regeln goldrichtig.

Der betreffende Jäger hätte auch einen »besseren« Hirsch schießen dürfen. Er entschied sich aber für diesen und bewies damit, dass er wirklich nicht aus Gier nach einer besonders starken Trophäe jagte. Also wirklich alles bestens. Mal abgesehen davon, dass ich keinen Sinn darin erkennen kann, einen Hirsch in der Brunft zu schießen. Denn das Fleisch ist wegen des Geruchs, den die hormonelle Beeinflussung in dieser Zeit auslöst, an und für sich ungenießbar.

Das, worauf ich hinaus will, kam danach: Es wurde nämlich gefeiert. Dazu war das Haupt des Hirsches, der Kopf also, abgetrennt worden. Dieser Hirschkopf wurde dann in einer Ecke eines großen Zimmers auf einem Tischchen aufgestellt. Er stand mit dem Maul auf einer Schale mit Eichenlaub und lehnte mit den Geweihstangen an den beiden Wänden, die sich in der Ecke trafen. Drumherum, hinter und unter sich war er reichlich mit belaubten Eichenzweigen dekoriert. Die Beleuchtung im Raum war gedämpft, der Hirschkopf allerdings in mehr Licht getaucht.

Schließlich kamen diejenigen, die eingeladen waren. Insgesamt sicher 30 Leute, eher mehr. Dann wurde der Hirsch »totgetrunken«. Es herrschte eine fröhliche Stimmung und es war auch dementsprechend laut.

Ich konnte meinen Blick nur schwer von dem toten Hirschkopf abwenden. Dessen gebrochene tote Augen schienen das Geschehen aus schmalen Schlitzen, um die die Augenlider noch geöffnet waren, zu beobachten. Der Geruch des Hirsches mischte sich mit dem seines Blutes von der Schnittstelle und den vielfältigen Gerüchen der Getränke und Snacks, des Tabakrauchs und der anwesenden Menschen. Es wurden tolle Reden gehalten, bei denen der Schütze natürlich gut wegkam. Aber dieses ganze Szenario mit dem toten Kopf, seinen Augen, dem Schwadronieren, der gehobenen Stimmung und dem Alkoholkonsum vieler der Versammelten hatte auf mich eine absolut bedrückende Wirkung und war körperlich spürbar, ein bisschen wie eine Magenverstimmung. Eine gespenstische Veranstaltung. Ich bin nie wieder zu so einer Gelegenheit hingegangen.

Auch sowas gehört zum jagdlichen Brauchtum. Oder soll ich lieber schreiben, was ich denke? Dann hieße der Ausdruck eher Brauchtums-Brimborium. Ich habe dafür wie für so manch andere Jagd-Gewohnheit keinerlei Verständnis. Sei es nun das Überreichen eines blutigen Zweiges auf einem Jagdmesser an einen, der gerade ein Tier erschossen hat, oder das verbohrte Festhalten an irgendwelchen überkommenen Ver-… , äh, ich wollte schreiben: Bekleidungsvorschriften. Man kann nämlich als junger Jäger richtig Ärger bekommen, wenn man lieber ohne Hut herumläuft. Es ist mir zuwider, etwas auf meinem Kopf zu haben, einfach unangenehm beeinträchtigend. Es sei denn, das Wetter zwingt mich absolut dazu. Aber der Hut ist nach Ansicht konservativer Jäger natürlich unbedingt erforderlich. Einmal der vorgeblichen Vollständigkeit der Klamotten wegen, also nur aufgrund von Äußerlichkeiten. Für die gehört das stur zum Erscheinungsbild eines Jägers, ich fühlte mich damit fast lächerlich ausstaffiert. Zum anderen aber auch, weil besagter blutiger Zweig, ein so genannter Schützenbruch, von dem erfolgreichen Schützen oder der erfolgreichen Schützin konform mit dem Brauchtum an den Hut gesteckt wird, nachdem er/sie ihn überreicht bekommen hat. Da kann dann jeder sehen, dass der oder die betreffende Waidmannsheil gehabt, also ein Tier erschossen hat.

Wie schon erwähnt: Ich mag diese ganze beschönigende und für Laien nicht oder schwer verstehbare überkommene Ausdrucksweise nicht. Es erscheint mir so, als wenn man die Dinge nicht beim Namen nennen will. Warum sonst sollte man anstelle von »Blut« »Schweiß« sagen, anstelle von »Fehlschuss in die Eingeweide« »waidwund« oder statt »angeschossen« »krank« usw. und so fort.

Wer Nix damit zu tun gehabt hat, weiß oft nicht, worum es geht. Ob das Absicht ist? Wenn so etwas auch der Abgrenzung gegenüber denen dienen soll, die nicht dazugehören, dann passt das auch wieder in eine Reihe mit den engstirnigen Vorstellungen darüber, mit welchen Klamotten ein Jäger herumzulaufen hat. Das gibt es in diesem Maße meines Wissens nur bei uns. Anderswo ist es komischerweise durchaus möglich etwa in Bluejeans und einem rot karierten Hemd zur Jagd zu gehen und ein paar Prairiehühner oder einen Elch für die Kühltruhe zu schießen. Geht auch. Seltsam, oder? Das Uniforme muss offenbar garnicht sein, wenn es nur um das Jagen als solches geht, dessen Sinn eben die Beschaffung von Lebensmitteln ist. Und der Verzicht darauf lässt dem Einzelnen seine Individualität. Der Hut auf dem Kopf sagt übrigens nach meiner Erfahrung trotzdem nichts über die Einstellung aus, die innerhalb des Kopfes wirklich vorherrscht.


1 Jagen? Warum eigentlich? – 2 Töten aus Lust oder Notwendigkeit?3 Hirsch tottrinken und andere Sitten – 4 Katzen und neue Tierarten unerwünscht – 5 Wildarten-Durcheinander – 6 Jagd auf Füchse und als extensive Tierzucht – 7 Wildtiere, Wildschutz, Menschen, Jagd – 8 Abschreckendes von der Baujagd – 9 Hubertus von Lüttich, die Jägerei und ich – 10 Ueber Kraehen und andere Rabenvoegel – 11 Schadstoffe im Wild und Umweltschäden durch die Jagd – 12 Entscheidung gegen die Jagd in dieser Form – 13 Jagd unter Beschuss

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