Kopfinterne Widersprüchlichkeiten
Autor Eckbert Heinenberg, am 19. Dezember 2009
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Wenn ich so draußen bin, dann geht mir öfters durch den Kopf wie es wohl kommen mag, dass man dort nur so wenigen Leuten begegnet. Warum mag das so sein? Einerseits kommt es mir entgegen, dass es so ist, denn ich wäre am liebsten allein in wegloser Wildnis unterwegs. Es ist aber so, dass man sich auch dann nicht mehr einbilden kann, in diesem Land hier in freier Natur zu sein, wenn man irgendwo den ganzen Tag herum gelaufen ist und überhaupt niemand gesehen hat.
Meine Wege sind gewöhnlich nicht allzu weit weg von der nächsten Stadt. Meistens ist das natürlich Nienburg, denn da wohne ich. Nienburg ist zwar eine kleine Stadt, aber immerhin die Kreisstadt hier. Es gibt um die 32.000 Einwohner, wenn ich das richtig weiß. In der unmittelbaren Umgebung der Stadt befinden sich verschiedene Wälder, Moore und natürlich landwirtschaftliche Nutzflächen. Auch die eine oder andere Heidefläche ist vorhanden und man kann insgesamt sagen, dass man eine gewisse Abwechslung in der Landschaft finden kann. Man muss nicht einmal lange danach suchen. Auch die Weser, verschiedene Wasserläufe, die natürlich leider meist kanalisiert sind, und einige Teiche und Tümpel vervollständigen unter anderem die Reize des Draußenseins hier in der unmittelbaren Umgebung.
Manchmal frage ich mich, wie viele der mehr als 32.000 Einwohner überhaupt die Umgebung außerhalb der Stadt kennen, außer natürlich die Straßen, auf denen sie irgenswo hin fahren. Hier sind natürlich zunächst einmal die Jogger und die Nordic-Walker und ein paar andere Leute, die aus Sportgründen draußen sind, wie zum Beispiel die häufig so rücksichtslosen Mountainbikefahrer. Dann gibt es natürlich auch andere Radfahrer und gelegentlich ein paar Reiter, den einen oder anderen, der seine Pferde angespannt und mit der Kutsche unterwegs ist und natürlich auch einige Hundebesitzer.
Aber trotzdem: was mir auf der einen Seite entgegenkommt, finde ich auf der anderen Seite maßlos erschreckend! Hat denn fast kein Mensch mehr Interesse daran, der Natur und der Stille etwas näher zu kommen, kein Bedürfnis nach der Ruhe und dem Sehen, keinen Sinn für das wohltuende Erleben der Abläufe des Lebens von Pflanzen und Tieren da draußen.
Ich meine, dass das vor 30 Jahren oder so noch anders war. Man wanderte mehr und es gab viele (relativ zu heute gesehen jedenfalls), die einfach draußen sein wollten. Das scheint ja kaum noch vorhanden zu sein. Die meisten, die ich heute draußen sehe, rennen rudelweise mit Lärm und Hektik durch das, was heute Natur heißt und zerstören brutal die Atmosphäre, die der Landschaft eigentlich zu Eigen ist. Diejenigen, die mit Knüppeln in der Hand unterwegs sind, die Nordic-Walker also, zeichnen sich häufig durch die gleiche Rücksichtslosigkeit aus, mit der die Mountainbiker häufig daherkommen. Das ist jedenfalls kein Draußensein aus Interesse an der Natur, sondern es hat irgendwelche anderen Gründe, über die ich mich hier nicht weiter auslassen möchte.
Auch von den Hundebesitzern sieht man unglaublich wenige durch Wald und Feld streifen. Ich habe ein paarmal die Probe aufs Exempel gemacht und mich bei schönem Wetter aufs Rad gesetzt, nachdem ich im Grinderwald oder in der Krähe gewesen war, die nicht weit vom Nienburg der Stadt-Gebiet entfernt liegen, und dort niemand oder fast niemand begegnet bin. Aber in der Stadt, da waren sie! Was bitte haben Hunde in der Fußgängerzone zu suchen? Für meinen Begriff ist ein solcher Ort nicht artgerecht. Mal abgesehen von den Häufchen, die manche unverschämte Hundebesitzer ja einfach liegen lassen, ist das einfach keine Umgebung für ein Tier. Ich war jedenfalls perplex, wie viele Hunde dort umher liefen, die meisten angeleint. Aber sie liefen nicht besonders weit, denn die Besitzer hatten eher im Sinn, sich draußen sitzend aufzuhalten. Dabei Eis zu essen, Kaffee zu trinken oder am helllichten Tage bereits ein paar Biere zu konsumieren. Die meisten Hunde jedenfalls waren nicht in Bewegung sondern lagen entweder bei den Tischen oder standen mit ihren Besitzern vor Schaufenstern oder waren sonst wie zum Herumlungern gezwungen, weil ihre Besitzer eben das gleiche taten.
Irgendwie dachte ich, dass Leute, die Tiere haben, doch ein gewisses Interesse auch an der Natur im allgemeinen haben müssten. Offenbar habe ich mich da mal wieder geirrt in den lieben Mitmenschen.
Nun, genug lamentiert! Aber wenn von den deutlich über 30.000 Einwohnern 500 regelmäßig draußen in der Umgebung unterwegs sind, dann habe ich – glaube ich – auf keinen Fall zu tief geschätzt. Und das, was ich daran traurig finde, ist, dass alle diese Menschen überhaupt nichts vermissen, wenn draußen in ihrer direkten unmittelbaren Umgebung ein Landschaftsteil nach dem anderen irgendwelchen Baumaßnahmen, brutaler wirrtschftlich motivierter Umgestaltung wie immer noch intensiverer Bewirtschaftung usw. zum Opfer fällt und in diesem Zuge (mal abgesehen von den geschützten Flächen mit ihrer zweifelsfrei erfreulichen Entwicklung) immer wieder weitere Populationen seltener Arten geschwächt werden oder ganz verschwinden.
So freue ich mich einerseits, draußen immer noch eine gewisse Abgeschiedenheit vorzufinden, und bin andererseits entsetzt, dass es nur dertart wenige weitere Mitbürger zu geben scheint, die das Bedürfnis nach Natur ebenfalls hinaus treibt.